Altersvorsorge Wie Rentner gezielt geschröpft werden Autor: Holger Balodis MDR, Dienstag, 29. August 2006 Beiträge auch auf Lebensversicherungen Peter S. aus Arnsberg ist fassungslos: seit Februar dieses Jahres ist er nach 51 Berufsjahren in Rente. Geschockt hat ihn eine Zahlungsaufforderung seiner Krankenkasse. Sie verlangt zusätzlich zu den Beiträgen auf die gesetzliche Rente und die Betriebsrente, die von Rentenversicherung beziehungsweise Pensionskasse direkt überwiesen werden. Für zehn Jahre werden auch Beiträge auf eine Lebensversicherung, die er vor Jahren im Betrieb abgeschlossen hatte, erhoben. Der Schaden für Peter S. ist immens: Von 34.414 Euro Auszahlung werden insgesamt 5.437 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung fällig. Ein Großteil des Zinsertrages der Versicherung wäre somit weg. Nur noch 28.977 Euro blieben dem Rentner. Neues Gesetz - bislang kaum bekannt Mit ihrer Forderung setzt die Krankenkasse eine Vorgabe aus dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) um, das seit dem 1. Januar 2004 gilt, aber bislang wenig bekannt ist. Mit diesem Gesetz werden Auszahlungen aus Kapitallebensversicherungen, die über den Betrieb abgeschlossen wurden, den Betriebsrenten und Versorgungsbezügen gleich gestellt. Es werden deshalb Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge darauf erhoben. Da mit dem gleichen Gesetz die Kassenbeiträge auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge verdoppelt wurden - bis dato war wie auf die gesetzliche Rente nur der halbe Satz fällig - ist die Mehrbelastung bei den Beiträgen auf Lebensversicherungen besonders gravierend. So steigt der Beitragssatz von null auf nunmehr 15 bis 16 Prozent der Auszahlungssumme (abhängig von Satz der jeweiligen Krankenkasse). Betroffen sind nur betrieblich abgeschlossene Lebensversicherungen. Zum Beispiel so genannte Direktversicherungen, mit denen beispielsweise Teile des Weihnachtsgeldes per Entgeltumwandlung in einen Versicherungsvertrag fließen. Davon gibt es derzeit sechs Millionen Verträge. Für privat abgeschlossene Verträge sind keine Abzüge zu zahlen. Nicht betroffen sind auch alle Privatversicherten. Sie zahlen weder Beiträge für die Betriebsrente noch auf betrieblich abgeschlossene Lebensversicherungen. Der Kunstgriff der Bundesregierung Damit die Auszahlung der Lebensversicherungen tatsächlich erkleckliche Beiträge in die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung spült, nutzte die Bundesregierung einen Kunstgriff: die fiktive Verteilung der Auszahlungssumme auf 120 Monate. Das Problem: Eine sehr hohe Summe kann normalerweise nur zu einem kleinen Teil beitragspflichtig werden. Begrenzt werden die Krankenkassenbeiträge nämlich durch die Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3.562,50 Euro monatlich (42.750 Euro pro Jahr). Alle Einkommen darüber bleiben normalerweise beitragsfrei. Da Rentner aber schon auf gesetzliche Rente und gegebenenfalls auch Betriebsrente Beiträge zahlen, ist der Spielraum zusätzlich begrenzt. Deshalb wurde folgendes vereinbart: die Auszahlungssumme wird auf 120 Monate (10 Jahre) verteilt. Damit kann 120-mal die Beitragsbemessungsgrenze genutzt werden. Allerdings muss der Versicherte die Beiträge auch nicht in einer Summe, sondern verteilt auf zehn Jahre zahlen. Klagen gegen die Neuregelung Gegen die Erhebung von Kassenbeiträgen auf einmalige Kapitalauszahlungen laufen zahlreiche Klagen vor den Sozialgerichten. Unterstützt werden sie beispielsweise von Sozialverbänden wie dem VdK oder dem Sozialverband Deutschland. Diese halten die Kassenbeiträge für einen Eingriff in Eigentumsrechte und sehen einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Außerdem sei der Vertrauensschutz verletzt worden, da den Betroffenen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausdrücklich eine steuer- und abgabenfreie Auszahlung in Aussicht gestellt wurde. Auch habe die Bundesregierung gerade die betriebliche Altersvorsorge stets ausdrücklich favorisiert. Genau bei jenen Personen, die diesen Ratschlägen der Regierung gefolgt seien, werde nun abkassiert. Die Bundesregierung weist die Vorwürfe zum verletzten Vertrauensschutz in einem Informationspapier zurück und erklärt, dass sich kein Versicherter darauf verlassen könne, dass die Höhe seiner Beiträge und ihre Bemessungsgrundlage gleich bleiben werden. Voraussetzung für eine Mehrbelastung sei, "dass die Abwägung zwischen dem allgemeinen Wohl und dem Vertrauen des betroffenen Personenkreises auf den Fortbestand der (bisherigen) Rechtslage ergibt, dass das Allgemeinwohl den Vorrang verdient." Das soll wohl heißen, dass die angespannte Finanzlage der Krankenkassen den plötzlichen Griff in die Kassen der Rentner, die eine Lebensversicherung bekommen, rechtfertigt. Mit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 erwartete die Bundesregierung durch den vollen Beitrag auf Betriebsrenten und betriebliche Lebensversicherungen Mehreinnahmen in Höhe von 1,6 Mrd. Euro. Für den 13. September 2006 wird das erste Urteil des Bundessozialgerichts zur Frage der Kassenbeiträge auf Lebensversicherungen erwartet. Weitere Belastungen für Rentner Die Beiträge auf betrieblich abgeschlossene Lebensversicherungen sind jedoch nur die markanteste und umstrittenste Mehrbelastung, die in den vergangenen zwei Jahren auf die Rentner zukam. Seit 2004 gilt auch: statt wie zuvor den halben Satz zahlen die Empfänger von Betriebsrenten und Versorgungsbezügen nun den vollen Krankenkassensatz. Betroffen sind alle Werksrentner und ehemaligen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, soweit sie gesetzlich krankenversichert sind. Und die Belastung ist erheblich: Wer beispielsweise eine Betriebsrente oder Zahlungen aus der VBL (öffentlicher Dienst) in Höhe von 500 Euro monatlich erhält, muss jeden Monat rund 35 Euro mehr zahlen (bei einem Kassenbeitrag von 14 Prozent). Wer 1.000 Euro monatlich Zusatzrente erhält, zahlt rund 70 Euro zusätzlich. Verdoppelt wurde für Rentner auch die Belastung für die Pflegeversicherung: Statt wie zuvor 0,85 Prozent zahlen sie nun die vollen 1,7 Prozent - und das sowohl für die gesetzliche Rente wie auch für Betriebsrenten, sowie auf Einmalzahlungen aus betrieblich abgeschlossenen Lebensversicherungen. Außerdem zahlen Rentner wie alle gesetzlich Versicherten zudem seit dem 1. Juli 2005 den so genannten Extrabeitrag von 0,9 Prozent, der eingeführt wurde, um auch weiterhin Zahnersatz und vor allem Krankengeld als Kassenleistung bieten zu können. Dabei haben Rentner gar keinen Anspruch auf Krankengeld. Alle Regelungen zusammen sorgen bei sehr vielen Rentnern für eine Mehrbelastung von rund 100 Euro monatlich. Insbesondere gegen die vollen Kranken- und Pflegebeiträge auf Betriebsrenten klagten schon zahlreiche Versicherte vor den Sozialgerichten bis hin zum Bundessozialgericht (BSG), bislang jedoch ohne Erfolg. Die BSG-Richter stützten die Haltung der Bundesregierung: Eingriffe in die Rechte der Rentner seien hinzunehmen, wenn nur dadurch erhebliche neue Einnahmen für die Krankenkassen zu erzielen seien. Außerdem sei davon nur ein kleiner Teil der Versicherten betroffen. Genau dies wird von den Sozialverbänden bezweifelt. Sie gehen davon aus, dass viele Millionen Rentner davon betroffen sind und es sich um erhebliche Eingriffe in Eigentumsrechte beziehungsweise eine Verletzung des Vertrauensschutzes handelt. Eine ganze Reihe der vor dem Bundessozialgericht unterlegenen Versicherten haben bereits Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Die Auseinandersetzung geht also weiter und kann sich noch einige Jahre hinziehen. Was können Betroffene tun? 1. Bezahlt werden müssen die Beiträge an die Krankenkasse zunächst auf jeden Fall. 2. Wer als gesetzlich Versicherter volle Kassenbeiträge auf Betriebsrente und/oder die Auszahlung einer betrieblich abgeschlossenen Lebensversicherung zahlen muss, kann dagegen bei seiner Krankenkassen Widerspruch einlegen - am besten so schnell wie möglich. Wenn es sich um einen rechtsfähigen Bescheid handelt - dieser muss eine Belehrung über das Widerspruchsrecht enthalten! - hat der Versicherte dazu einen Monat Zeit. Fehlt die Belehrung, muss er innerhalb eines Jahres widersprechen. Einen Musterbrief für den Widerspruch finden Betroffene auf der Internetseite des Sozialverbands VdK. 3. Was passiert dann? - Im besten Fall lässt sich die Krankenkasse bis zur endgültigen rechtlichen Klärung des Sachverhaltes darauf ein, das Verfahren ruhen zu lassen. Dann muss man nicht vor Gericht gehen. - Im schlechtesten Falle kann es aber sein, dass der Widerspruch von der Kasse abgelehnt wird. Dann kann man vor das Sozialgericht ziehen. Der Aufwand ist relativ gering. In den ersten beiden Instanzen (Sozial- und Landessozialgericht) ist der Prozess ohne Kosten verbunden und man könnte sich selbst vertreten, wodurch man die Kosten für den Anwalt spart. Dennoch ist es ratsam, sich in jeder fraglichen Situation Beratung und Unterstützung zu holen und entweder einen Fachanwalt oder eine Organisation zu Rate zu ziehen. In Frage kommen zum Beispiel: * Gewerkschaften, * Sozialverband VdK mit Landesverbänden oder * Sozialverband Deutschland Wer auf ein positives Urteil des Bundesverfassungsgerichts hofft und davon profitieren will, für den empfiehlt es sich, den Instanzenweg voll auszuschöpfen. So lange durch Widerspruch und Sozialgerichtsverfahren die Beitragsfestsetzung noch nicht rechtskräftig ist, wird die Verjährung gehemmt. Das ist wichtig für die rückwirkende Erstattung. Eigentlich sind es nur vier Jahre, die ggf. zurückerstattet werden. Hält man den Rechtsstreit am Laufen, kann alles zurückerstattet werden. Adressen Sozialverband VdK Sachsen Elisenstraße 12 09111 Chemnitz Tel.: (0371) 33 40 0 Fax: (0371) 33 40 33 E-Mail: sachsen@vdk.de Sozialverband VdK Hessen-Thüringen e. V. Elsheimerstraße 10 60322 Frankfurt Tel.: (069) 714002-0 Fax: (069) 714002-24 E-Mail: hessen-thueringen@vdk.de Sozialverband VdK Deutschland e. V. Wurzerstraße 4 a 53175 Bonn Tel.: (0228) 82093-0 Fax (0228) 82093-43 E-Mail: kontakt@vdk.de www.vdk.de Sozialverband Deutschland e.V. Stralauer Str. 63 10179 Berlin Tel.: (030) 72 62 22 - 0 Fax: (030) 72 62 22 - 311 E-Mail: contact@sozialverband.de www.sozialverband.de Druckversion - DasErste.de - [plusminus - Altersvorsorge (29.08.2006) (http://www.daserste.de/plusminus/beitrag.asp?uid=MDR_3381868%20%20%20%20%20&cm.asp)